BACH PRIVAT

Im Rahmen des Projektes „Der Klang der drei Flüsse“ präsentiert von JazzFest Passau e.V.

GROßER RATHAUSSAAL PASSAU

 

Wir befinden uns in Bachs Privatwohnung. Heute begrüßt der noch junge Komponist besondere Gäste. Die in ganz Europa bekannten Geiger Johann Joseph Villsmayr und Johann Paul Westhoff haben ihre edlen Violinen bereits gestimmt und beginnen aus ihren Sonatensammlungen für unbegleitete Violine einige Kostproben zu präsentieren. Bachs Freund Telemann ist auch dazugestoßen. Er geigt eine seiner beliebten Fantasien. Nach einem köstlichen Mahl und einem Glas edlen Rotweins, Bach hatte immer einen guten Tropfen auf Lager, präsentiert Johann Sebastian einen Entwurf seiner "Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato". Die beiden Virtuosen Villsmayr und Westhoff, aber auch Georg Philipp kommen aus dem Staunen über die Meisterschaft des Gastgebers gar nicht mehr heraus.

Johann Paul Westhoff
Suite I a (1696)
Allemande-Courante-Sarabande-Gigue

Georg Philipp Telemann
Fantasie XII a (1735)
Moderato-Vivace-Presto

Johann Joseph Vilsmayr
Partia I  A (1715)
Prelude-Aria-Saraband-Gavott-Menuett-Aria-Menuett-Aria Menuett-Guig-Final

Georg Philipp Telemann
Fantasie VI e (1735)
Grave-Presto-Siciliana-Allegro

Pause

Johann Sebastian Bach
Sonata a (1720)
Grave-Fuga-Andante-Allegro

Johann Paul Westhoff  (1656-1705) «6 Suiten für Violine solo» 

1696 wurden in Dresden 6 Suiten von Westhoff gedruckt, die sich nur in einem einzigen Exemplar bis zum heutigen Tage erhalten haben. Als ich in den Siebzigerjahren die Faksimileausgabe von Peters Leipzig in den Händen hielt, war ich einerseits von der fremden Notation abgeschreckt, andererseits auch magisch angezogen. Westhoff komponiert in einem 8-linigen Notenzeilensystem mit einer Kombination von C- und G-Schlüssel. Die Einrichtung in das moderne Notenbild war dann doch zu bequem und ich spielte mit ihrer Zuhilfenahme munter drauf los. Die jugendliche Freude war rasch gedämpft. Die Stücke waren technisch äußerst anspruchsvoll und schienen zugleich sperrig im Ausdruck. Das klangliche Ergebnis ließ aufgrund meiner Inkompetenz zu wünschen übrig. So verschwand der Band nach und nach in der Fülle neuentdeckter Kompositionen.
Bach zu musizieren. Um mich darauf vorzubereiten, begann ich vor Jahren, Werke anderer Barockkomponisten für unbegleitete Violine zu studieren. Zuerst wurde Bibers Schutzengelsonate zum Schlüsselerlebnis (A 401). In Konzerten erntete ich mit ihr immer höchste Begeisterung seitens der Zuhörer. Der nächste Schritt wurde gleichzeitig einer der wichtigsten. Durch einen Artikel in der Fachliteratur aufmerksam gemacht, beschaffte ich mir die Sammlung “Arteficiosus Concentus pro Camera” (1715) von Johann Joseph Vilsmayr. Die CD-Produktion mit ARCANA (A 328) wurde ein großer Erfolg und auch in Konzerten waren die Reaktionen  enthusiastisch. Nun tauchte die Idee auf, Programme zusammenzustellen. Irgendwann juckt es jeden Barockgeiger, die „Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato” von J. S., die das breite Spektrum unbegleiteter Violinmusik in der Barockzeit präsentieren sollten. Ich stöberte also nach meinen alten Noten mit Westhoffs Suiten und beschäftigte mich gleichzeitig mit den Fantasien von Telemann.
Diesmal wollte ich es besser machen, die Notation Westhoffs war also zu lernen. Dabei halfen Erfahrungen mit Kompositionen für Viola d’amore, die oft in einer ähnlichen Notation gehalten sind. Mit der Zeit lernte ich die Möglichkeit schätzen, mit den besonders angeordneten 8 Linien, die polyphonen Strukturen zu verdeutlichen und für den Interpreten leichter erkenntlich zu machen. Nach einigen Wochen des Studiums stellte sich schließlich Begeisterung für die in klassischer Suitenform gehaltenen musikalischen Kostbarkeiten Westhoffs ein. Der Komponist widersteht den Verlockungen manieristischer Ausschmückung oder vordergründig virtuoser Effekte. Er lotet alle Möglichkeiten des mehrstimmigen Spiels auf der Geige aus und schreckt selbst von längeren Folgen vierstimmiger Akkorde nicht zurück. Die verschiedenen Tonarten machen die Stücke nicht nur abwechslungsreich im Klang, die unterschiedlichen Grundtöne ermöglichen auch eine unterschiedliche Behandlung der drei Hauptstufen (Tonika, Dominante, Subdominante) bei ihrer Projektion auf die Quintenstimmung der Violine.
In meinen sechs Konzertprogrammen “Bach Privat” stehen Westhoffs Werke würdig neben den unbegleiteten Violinsoli Bachs, Telemanns und Vilsmayers. Jeder dieser Komponisten hat einen anderen Ansatz zur Bewältigung der Herausforderung gewählt, mehrstimmige Musik für das Melodieinstrument Violine zu schreiben. Westhoffs Suiten stehen den Partiten Bachs dabei stilistisch am nächsten.  

Johann Joseph Vilsmayr  (1663-1722) »Artificiosus Concentus pro Camera« 

Vilsmayr wirkte ab 1. September 1689 bis zu seinem Tod am 11. Juli 1722 als Hofviolinist in der Salzburger Hofkapelle. Er war erwiesenermaßen Schüler von H.1. F. Biber, dürfte sich in Folge dann aber selbständig weitergebildet haben. Die Steigerung seiner Qualität als Geiger lässt sich einigermaßen aus der Erhöhung seines Einkommens ermessen. Am Anfang seines Wirkens als Hofgeiger musste er sich mit 6 fl begnügen, dazu kam noch ein Betrag für Brot und Wein. 1697 betrug sein monatliches Einkommen bereits 25 fl., immerhin wird er bereits als »Ante-Camera-Kammerdiener« genannt. Eine Eintragung im Stift Lambach bestätigt dem »hochfürstlichen Musiker« Vilsmayr ein Salär von 20f1. bei seiner Abreise.
In der British Library hat sich eine Sammlung Vilsmayrs mit dem Titel »ARTIFICIOSUS CONCENTUS PRO CAMERA, dis tributus in Sex Partes, seu Partias ii Violino Solo Con Basso belle imitante« (Salzburg 1715) erhalten. Der Titel »Con Basso belle imitante« hat einiges zur Verwirrung beigetragen. Bis vor kurzem waren die Fachleute überzeugt, dass das Werk unvollständig überliefert sei. Erst zur Jahrtausendwende legte P.H. Nobes im Vorwort zu einer Facsimileedition überzeugend dar, dass mit dem imitierenden Bass auch die mehrstimmige Stimmführung der Solovioline gemeint sein könnte. Nach Durchsicht der Musik war mir alles sonnenklar. Man war lange Zeit einer Fehlinterpretation des Titels aufgesessen! Die sechs Partiten haben eine durchschnittliche Länge von 15 Minuten. Der Stil ist Französisch mit starkem Österreichischem Kolorit. Virtuose Solopassagen erinnern an H.1.F. Biber. Die Melodiebildung greift häufig auf Volksmusikgut zurück - ein weiteres Stilmerkmal der Österreichischen Barockmusik. Die mehrstimmige Schreibart erinnert eher an Biber als an Corelli. Die Sonaten II-V verwenden verschiedene Skordaturen der Violine - eine Österreichische Eigenart. Der Kompositionsstil Vilsmayrs ist höchst abwechslungsreich. Farben und Stimmungen finden sich im stetigen Wechsel, virtuoses Passagenwerk und überraschende harmonische Wendungen stehen neben rhythmisch mitreißenden Tanzsätzen.

Partita I - Das Prelude konfrontiert bereits mit der ungehemmten Fantasie des Komponisten. Nach einer zweistimmigen Adagio Einleitung wird virtuoses Violinspiel gezeigt. Im Allegro Teil erzeugen die in der Artikulation der Sechzehntel geforderten Gegenakzente eine unruhige Stimmung. Ein kurzer rückblickender Adagio Einschub bereitet affektvoll das Presto vor, Skalen und Dreiklangsbrechungen erinnern an die virtuose Schreibweise Bibers. Das Harpeggio überrascht durch seine harmonischen Fortschreitungen. Die anschließende Aria und die folgenden Tanzsätze verdeutlichen rasch die von Vilsmayr gekonnt angewandte Schreibweise zur gleichzeitigen Darstellung der harmonischen und melodischen Entwicklung. Wichtige Bassnoten und für Vorhaltbildungen verantwortliche Mittelstimmen werden durch zwei, drei oder vierstimmige Akkorde in die Melodie eingearbeitet. Zeitweise wechseln Bass- und Melodiestimme einander ab. In der Aria findet sich als besondere Strichart das fliegende Staccato. Die Saraband besticht durch ihre gravitätische Vollstimmigkeit während bei der Gavott besonders in der Variatio der Wechsel zwischen Bass- und Sopranregister besticht. Im Menuett vor der nächsten Aria erwirken Legatobögen auf den unbetonten Taktzeiten einen wunderbar schwebenden, lyrenartigen Effekt. In der Aria überraschen häufige Tempowechsel, gewagte Modulationen sowie eine Trillerkette mit einem anmutigen Echoeffekt. Das nächste Menuett steht wiederum vor einer Aria. Sein hüpfender Grundgedanke leitet gekonnt die aufgeregte Stimmung der Aria ein. Diese zeigt besonders deutlich, was Vilsmayr mit seinem »Basso belle imitante« gemeint hat. Das dritte Menuett mit seiner geforderten inegalite wird von einer Guig im Presto Tempo gefolgt die relativ rasch in das abschließende Final mündet. Ganz frei von metrischen Klammern quirlt die Melodie dahin, kostet harmonische Spannungen aus, ehe sie sich nach und nach beruhigt und in einem terzfreien Akkord endet.

Georg Philipp Telemann (1681-1767) «12 Fantasien für die Violine ohne Bass» 

Der weitunterschätzte Vielschreiber warb 1735 großflächig für die in seinem eigenen Verlag erscheinenden 12 Fantasien für die Violine ohne Bass.
Er hatte diese Kompositionen schon Jahre vorher angekündigt - unter Werke, die so nach und nach herausgegeben werden können.
Ein herauszuhebendes Charakteristikum von Fantasien ist laut Johann Mattheson eine gewisse kompositorische Freiheit, die Ungebundenheit an formale Normen und der Eindruck des improvisierenden Spiels: Ob nun gleich diese alle das Ansehen haben wollen, als spielte man sie aus dem Stehgreife daher, so werden sie doch mehrentheils ordentlich zu Papier gebracht; halten aber so wenig Schranken und Ordnung, daß man sie schwerlich mit einem andern allgemeinen Nahmen, als gute Einfälle belegen kann.
In den Verkaufsanzeigen bezeichnet Telemann seinen Zyklus als 12 Fantasien für die Violine ohne Bass, wovon 6 mit Fugen versehen, 6 aber Galnterien sind.
So zeigt Telemann seine Meisterschaft sowohl im älteren hochbarocken Stil als auch im neuen hochmodernen galanten Musizieren. Die Stücke bestechen durch häufigen Wechsel der Satzstruktur und Stimmführung. Motive, Rhythmen, Intervallfolgen und melodische Bewegungen ändern sich mitunter taktweise. Akkordbrechungen wechseln mit Skalen, Gravitätisches steht neben Tänzerischem, einstimmiges Spiel neben mehrstimmigem, vollstimmige Akkorde folgen bewegtem Passagenwerk. Telemanns Phantasien verlieren jedoch nie den ordnenden Willen des phantasievollen Komponisten.

Johann Sebastian Bach (1685-1750) “Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato”

Das Manuskript dieser Sammlung hat eine erstaunliche Überlieferungsgeschichte. Nach Bachs Tod verliert sich die Spur der autographen Sammlung rasch. Erst 1890 wird sie von einem Antiquitätenhändler mit Namen Rosenthal zum Kauf angeboten. Eusebius Mandyczewski, der Archivist der “Wiener Musikfreunde“ gibt dieses Angebot an J. Brahms weiter. Er hofft damit, nach dessen Ableben die wertvolle Sammlung als Schenkung quasi zu beerben. Der Preis des Manuskripts (2000 Mark) und die außergewöhnliche Schönheit dieser Sammlung machen Brahms allerdings skeptisch. Ein weiterer Umstand lässt ihn davor zurückschrecken, den Prachtband zu kaufen. Die Solosonaten werden weder vom Bachforscher Spitta erwähnt, noch in der Bachausgabe berücksichtigt. Noch dazu verweigert Spitta zunächst eine Stellungnahme nach der ersten Anfrage von Mandyczewski. So lässt Brahms diese außergewöhnliche Chance verstreichen und hat schließlich das Nachsehen. Wilhelm Rust, einer der Direktoren der Bachausgabe erkennt den enormen Wert der Sammlung und erwirbt sie schlussendlich.
Es gleicht einem Geschenk Gottes, dass die Geiger nach diesen Verwirrungen heute zumindest theoretisch die Möglichkeit besitzen, Bachs Meisterwerk für Solovioline aus seiner ausdrucksstarken Handschrift zu musizieren.

Einige Abschriften der Sonaten haben ebenfalls die Gegenwart erreicht. Darunter eine aus der Hand Anna Magdalena Bachs. Diese Fassung wurde lange Zeit als das Autograph angesehen, da sich die Handschriften der beiden Eheleute ähneln. 1802 erscheint die erste Gesamtausgabe im Druck unter dem Titel: “Tre Sonate per il Violino solo senza Basso”. Die Partiten werden hier offensichtlich als den Sonaten zugehörig eingestuft. In einige Ausgaben des Jahrhunderts werden die Stücke auch als “Studien” bezeichnet. Man kann sich damals nur schwer vorstellen, dass diese Musik auch für den Vortrag bestimmt sein könnte. Die Kunst des mehrstimmigen Spiels auf der Violine scheint also bereits verloren gegangen zu sein. Selbst berühmte Komponisten wie Schumann und Mendelssohn versuchen sich an Bearbeitungen dieser für sie offensichtlich spröden Werke. Sie fügen eine Klavierbegleitung dazu. In dieser Form werden die Sonaten im 19. Jahrhundert schon eher an das Publikum verkauft.

Im 20. Jahrhundert geht man andere Wege. Da man der Meinung ist, dass die Notenwerte wie bei einem schlechten Orgelspiel ausgehalten werden sollten, wird sogar ein eigener Bogen konstruiert, der das Durchhalten mehrstimmiger Akkorde theoretisch erlaubt. Erst die Beschäftigung mit der barocken Aufführungspraxis kann diese Irrwege beenden. Unzählige Editionen berühmter Geiger bezeugen die vergeblichen Versuche, auf der modernen Violine mit allen möglichen technischen Tricks das Klangbild einer «legato»  pielenden Orgel zu imitieren. Nach dem 2. Weltkrieg wird schließlich der “Originalklang” modern und einige Spezialisten wagen die Interpretation mit historisch orientierten Instrumenten. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Für mich will sich einfach der Originalklang nicht wirklich einstellen. Denn was ist der eigentlich? Und hat dieser Klang eine Berechtigung im heutigen Konzertleben?

Die Zukunft wird hier, meiner Meinung nach, noch viele Auseinandersetzungen zu dieser Frage bringen. Viele Ciaconen werden auf sentimentale oder heroische Weise in Diplomprüfungen erklingen, viele Preludien im halsbrecherischen Tempo die Bühne passieren und viele Adagios im gleichförmigen Wohlklang, genau mit dem Metronom bemessen, das Publikum langweilen. Dagegen werden viele schrille Originalklänge das Gemüht irritieren, die hinteren Reihen in größeren Konzertsälen wegen mangelnder Klangentwicklung den Kopf schütteln bzw. die Hörgeräte lauter stellen, Spezialprofessoren erklären, wie eine “Sarabande” zu betonen sei.

Eines ist sicher: Bach hat seine Sei Solo nicht für die Aufführung vor einer großen Menschenmenge komponiert. Die Violinen seiner Zeit waren dafür nicht geschaffen und es war damals auch gar nicht nötig. Man spielte diese Werke ausschließlich für Kenner und die waren in der Minderzahl.

Schön dass das heute anders ist!

Gunar Letzbor

Termine:

  • Di, 19.03.19 19:30 Uhr

    Leider steht das Konzert nicht / nicht mehr zur Online-Reservierung zur Verfügung.
    Restkarten können telefonisch angefragt werden unter:
    +48 851 21 24 64 10

Eintritt:

VVK über PNP / AK: 29,- / 9,- (Schüler)
Gunar Letzbor - Cafe Museum Passau

Line-Up:

Gunar Letzbor - Violine